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Verantwortung der Kirche und Opferschutz

Die Meldungen über sexuellen Missbrauch, psychischer und körperlicher Gewalt in der katholischen Kirche überstürzen sich: Opfer decken die ihnen zugefügte Gewalt auf, die kirchlichen Institutionen reagieren mit Empörung über die Verbrechen und bitten die Opfer um Entschuldigung und Vergebung. Ohne die Kirche unter einen Generalverdacht stellen und den Bischöfen unlautere Beweggründe unterstellen zu wollen, machen die öffentlichen Erklärungen vieler kirchlicher Würdenträger dennoch deutlich, dass auch heute noch in großen Teilen der Kirche der Täterschutz Priorität vor dem Opferschutz hat. Täter und Täterinnen sind Künstler der Manipulation: Sie sind auch nach ihrem Ausscheiden aus dem Kirchendienst „anwesend“, denn ihre zum eigenen Schutz gesponnenen Intrigen sind in den kirchlichen Strukturen – wie auch in anderen Institutionen – noch lange wirksam. Manipulationen der Täter beeinflussen auch heute noch kirchliche Reaktionen auf die Aufdeckung sexueller, psychischer und körperlicher Gewalt. Schon immer war es eine klassische Täterstrategie, mit lauthals vorgetragener Empörung über sexuellen Missbrauch und Forderungen nach harten Sanktionen die Wahrnehmung der Umwelt zu vernebeln und von den eigenen Gewalttaten bzw. Verantwortlichkeiten abzulenken. Ebenso ist die Bitte um Entschuldigung eine für Täter typische Verteidigungsstrategie: Der Appell an das soziale Gewissen der Opfer soll diese erneut zum Schweigen bringen und somit der Aufdeckung weiterer Gewaltverbrechen vorbeugen.

Wird ein Fall von sexuellem Missbrauch öffentlich benannt, so legen Täter und Täterinnen häufig über strafrechtlich nicht relevante sexuelle Übergriffe bzw. von der Justiz als minderschwer bewertete Formen sexueller Gewalt Teilgeständnisse ab. Viele geben Schritt für Schritt exakt so viel zu, wie ihnen zweifelsfrei nachgewiesen wird. Ihre häufige Bitte um Entschuldigung soll der Umwelt ihre „Einsicht“ und Reue vortäuschen, damit diese nachfolgend „alles“ auf sich beruhen lässt und auf Strafanzeigen verzichtet. Weniger „einsichtig“ auftretende Missbraucher zeigen sich oftmals später im Rahmen von Strafverfahren auf Empfehlung ihrer Anwälte dann doch noch „reuig“: Sie ersparen durch Teilgeständnisse den Opfern die Aussagen vor Gericht und erkaufen sich so in einem „Kuhhandel mit Vater Staat“ ein geringeres Strafmaß. Mit einer unerlässlichen Übernahme von Verantwortung für das Leid, das sie tatsächlich verursacht haben, hat dieses strategische Verhalten der Täter nichts zu tun.

Von sexueller Ausbeutung, psychischer und körperlicher Gewalt betroffene Mädchen und Jungen reagieren oftmals auf Teilgeständnisse von Tätern/Täterinnen zunächst einmal mit Erleichterung: (Teil-)Geständnisse bestätigen die Aussagen der Opfer und damit die Realität der an ihnen verübten Verbrechen. Kinder und Jugendliche hoffen meist, dass die Umwelt ihnen nun endlich glaubt und das ihnen zugefügte Leid anerkennt! Zu einem späteren Zeitpunkt spüren die meisten Opfer, welche neue Last die typischerweise auf das Teilgeständnis folgende Bitte um Entschuldigung ihnen aufbürdet. Vor allem religiös erzogene Mädchen und Jungen haben gelernt, dass man eine Entschuldigung annehmen, Fehler verzeihen und „dann alles vergessen“ muss. Leider ist jedoch auch nach einer Entschuldigung noch längst nicht „alles wieder gut“. Besonders belastend ist es für die Opfer, wenn die Umwelt der Strategie von Tätern auf den Leim geht, deren Teilgeständnisse als umfassende Geständnisse wertet und entsprechend der Einschätzung „Das war doch alles nicht so schlimm!“ auf Mädchen und Jungen einwirkt.
Betroffene Mädchen und Jungen leiden oft lange Zeit unter den Folgen der an ihnen verübten Verbrechen und sind berechtigter Weise wütend auf die Täter und die Umwelt, die ihre Hinweise nicht verstanden, ihnen nicht geglaubt und/oder nicht sie, sondern die Täter geschützt haben. Nun werden die Opfer nicht selten von Dritten gedrängt, die Entschuldigungen der Täter anzunehmen – und auch die Entschuldigungen derjenigen, die ihnen Schutz und Hilfe verweigerten. Solche Bitten um Entschuldigung erleben viele Opfer als erneute Schweigegebote, denn sie nehmen betroffenen Mädchen und Jungen die Möglichkeit, ihren Schmerz, ihre Trauer und ihre berechtigte Wut sowohl auf die Täter als auch auf die Umwelt auszudrücken. Und da sie ihre Wut und Enttäuschung nicht offen zum Ausdruck bringen können, erleben Kinder und Jugendliche erneute tiefe Gefühle der Ohnmacht. Nicht wenige richten ihre unterdrückte Wut anschließend in Form von selbstverletzendem Verhalten gegen sich selbst.

Kirche muss Verantwortung übernehmen
In der Fachdiskussion über Missbrauch in Familien bezeichnet man Mütter als Mittäterinnen, wenn diese von den sexuellen Gewalthandlungen gegen die Tochter/den Sohn wissen und das Opfer nicht schützen. Zweifelsfrei haben sich in diesem Sinne auch Teile der „Mutter Kirche“ der Mittäterschaft schuldig gemacht: Personalabteilungen der Bistümer und des Vatikans waren in der Vergangenheit über Fälle sexueller Ausbeutung von Mädchen und Jungen durch Geistliche als auch Laienhelfer in Pfarrgemeinden und anderen kirchlichen Institutionen informiert und regelten oftmals die „Angelegenheit“, indem sie zum Beispiel übergriffige Priester versetzten, ohne die neuen Gemeinden zu informieren. Sie gingen damit bewusst das Risiko ein, dass weitere Kinder und Jugendliche missbraucht wurden. Zudem verweigerten sie vielen Opfern die dringend notwendige Hilfe. Es ist die Verantwortung der Kirche diese Mittäterschaft offen zu benennen.
In der Erklärung der Frühjahrs-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz vom 25.02.2010 heißt es: "Wir Bischöfe stellen uns der Verantwortung. Wir verurteilen die Verbrechen, die Ordensleute sowie Priester und Mitarbeiter unserer Bistümer begangen haben. Beschämt und schockiert bitten wir alle um Entschuldigung und Vergebung, die Opfer dieser abscheulichen Taten geworden sind." Diese Erklärung der deutschen Bischöfe redet um die Verantwortung der Kirche für die Opfer herum und reduziert die Verantwortung der kirchlichen Würdenträger lediglich auf die Verurteilung der Verbrechen und die an die Opfer gerichtete Bitte um Entschuldigung und Vergebung.
Erst nachdem sich die Meldungen überschlugen und das unvorstellbar große Ausmaß der sexuellen Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen in kirchlichen Institutionen in Deutschland aufgrund zahlreicher Berichte von Opfern in den Medien nicht mehr bagatellisiert werden konnte, zeigten die deutschen Bischöfe erste vorsichtige Ansätze einer wirklichen Verantwortungsübernahme für die Mittäterschaft der Kirche. Der Freiburger Bischof Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, räumte Fehler der Kirche im Umgang mit den Opfern ein. Durch die Enttäuschung über das schmerzliche Versagen der Täter und aus falsch verstandener Sorge um das Ansehen der Kirche sei der helfende Blick für die Opfer nicht gegeben gewesen, erklärte Zollitsch am Karfreitag. Auch dies sei eine leidvolle Realität, der die Kirche sich zu stellen habe.
Die Sachlichkeit des Missbrauchsbeauftragten der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Ackermann aus Trier, der mahnt, die Opferperspektive nicht aus dem Auge zu verlieren, und die engagierte Aufdeckungsarbeit einzelner Bistümer tragen dazu bei, dass Teile der Kirche wieder an Glaubwürdigkeit gewinnen. In einigen Bistümern sind für Außenstehende noch keine Hinweise darauf erkennbar, dass sich der kirchliche Umgang mit Fällen sexueller Gewalt vom Täterschutz zum Opferschutz wandelt. So formulierte zum Beispiel Kardinal Meisner öffentlich seine persönliche Betroffenheit über die Verbrechen innerhalb der Kirche. In dem von ihm geführten Kölner Bistum ist jedoch noch immer ein Sonderbeauftragter für die Abklärung von Fällen sexuellen Missbrauchs tätig, dessen Eignung für dieses Amt schon seit Jahren in Kirchenkreisen in Frage gestellt wird. Im Kirchendienst tätige und im Sinne des Opferschutzes engagierte Katholiken raten schon seit langem davon ab, mit dem Sonderbeauftragten des Bistums Köln zu kooperieren. Kritische Anmerkungen zur Arbeitsweise des Sonderbeauftragten wurden vom Bistum offensichtlich ignoriert. Nun soll ab Mai eine Frau als zweite Ansprechpartnerin des Bistums benannt werden. Laut Presseinformationen wurden innerhalb des Bistums Köln bisher vergleichsweise wenige Fälle sexueller Missbrauchs benannt.

In ihren Osterpredigten formulierten viele Geistliche zum x-ten Male die an die Opfer gerichtete Bitte um Vergebung. Inzwischen klingt es so, als erhofften sich die kirchlichen Würdenträger eine Art General-Absolution im Sinne: „Ihr Missbrauchsopfer vergebt der Kirche“. Eine solche Bitte ist nicht nur unangebracht, sie ignoriert zudem das Leid der einzelnen Opfer. Die Kirche hat es zu akzeptieren, dass viele Opfer keinen weiteren Kontakt zur Institution Kirche wünschen. Diese Teile der Kirche haben in der Vergangenheit den betroffenen Kindern und Jugendlichen Schutz und Hilfe verweigert, ihr Seelenheil dem „guten Ruf“ der Kirche geopfert und sich somit der Mittäterschaft schuldig gemacht. Sie haben durch ihr Verhalten nicht nur das Vertrauen der Opfer, sondern auch das Vertrauen der Eltern und Gemeinden verwirkt.
Aus christlicher Sicht ist Umkehr die Voraussetzung für Vergebung: "Geh hin und sündige von nun an nicht mehr." Zur Vergebung gehören somit Einsicht und der Wille, das Vorhandene ändern zu wollen. Folglich ist eine Bitte um Vergebung erst angemessen, wenn „Mutter Kirche“ ihren Veränderungswillen glaubhaft bezeugt, indem sie ihre Vorgehensweise in Fällen von sexueller, psychischer und körperlicher Gewalt gegen Schutzbefohlene grundlegend verändert und diese an den Bedürfnissen der Opfer orientiert.
Die katholische Lehre geht von Gottes Willen aus, bedingungslos zu lieben und zu verzeihen. Von anderen Menschen kann man allerdings nicht erwarten, dass sie bedingungslos verzeihen. Für viele Opfer wäre es hilfreich, wenn die Kirche diesen entscheidenden Unterschied endlich deutlich macht und klar formuliert, dass sie zwar von Gott nicht jedoch von Opfern bedingungslose Verzeihung erwartet.

Die kirchliche Lehre macht die in Kirchenkreisen zurzeit immer wieder formulierte unangemessene Bitte um Versöhnung mit den Opfern nachvollziehbar: "Wenn du siehst, dass dein Bruder etwas gegen dich hat, geh auf ihn zu und biete Versöhnung an." Der viel zu frühe Zeitpunkt für diesen Schritt ist mehr an den Bedürfnissen der Kirche als an denen der Opfer ausgerichtet. Die Bitte um Versöhnung entspricht dem Bedürfnis der Kirche, sich von ihrer tatsächlichen Schuld zu entlasten. Die kirchlichen Würdenträger blenden ganz offensichtlich aus, dass eine solche Entschuldung erneut auf Kosten der Heilung der Opfer geht. Ihre Bitte erschwert es vor allem gläubigen Opfern, berechtigte Wut und eine für den Heilungsprozess hilfreiche Grenzsetzung zu entwickeln.
Die Kirche täte gut daran, das Gespräch mit Opferorganisationen zu suchen und sich beraten zu lassen, um Opfer nicht erneut durch mehr oder weniger unsensible Erklärungen zu verletzen. Mit der Einrichtung eines Büros bei der Deutschen Bischofskonferenz, das u. a. den Dialog mit Opferorganisationen und anderen Hilfeangeboten führen soll, hat sie einen ersten Schritt in diese Richtung unternommen.
Die von Geistlichen wiederholt an die Opfer gerichteten Bitten um Entschuldigung und Vergebung machen deutlich, dass die Kirche bisher nur in einem sehr begrenzten Maße Empathie mit den Opfern entwickelt hat. Noch immer gesteht sie sich selbst und anderen nicht das ganze Ausmaß der von kirchlichen Mitarbeitern verübten Verbrechen gegen Kinder und Jugendliche und ihres eigenen Versagens ein. Sie hat noch einen langen Weg vor sich.

Ursula Enders/Yücel Kossatz
Die beiden AutorInnen der Stellungnahme sind hauptamtliche MitarbeiterInnen von Zartbitter Köln.
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